Prag zum Zweiten
Länger als eine halbe Stunde hält mein Tinnitus im Regionalzug kein Schweigen mehr aus. Die Gemeinschaft ist irgendwo hinter der Grenze in Cheb zurückgeblieben, wo ein aufgeblasener Plastikluftballon Rosen eingerahmt hat. Zu gewollt sag ich. Das macht es nicht unwahr.
Zweiter Versuch. In fünfzehn Jahren kann man eine Stadt zweimal besuchen, ohne sich redundant zu fühlen. Auch oder gerade zusammen mit derselben Freundin. Ich habe mich sogar dabei ertappt darüber nachzudenken, das Museum zu besuchen, das mich damals schon angezogen hat. Auch das wäre in Ordnung. Alles in allem auf die Schulter klopfen, dass wir beim ersten Mal genau die richtigen Orte und Themen zum Lernen und Inspirieren ausgewählt haben.
Um einen Vergleich mit uns selbst kommen ich und wir nicht rum. Sind wir da, wo wir dachten sein zu wollen fünfzehn Jahre später? Sind wir genug gewachsen? Kann ich immer noch so kreativ schwebend wie mit 23 sein im Land der Ideen oder zwingt mich die Schwere der Erfahrungen zurück in die Banalität?
Beim 0 oder 10 Punkte Spiel stellt sich zumindest das wohltuende Gefühl von Unbeschwertheit ein. Zu Lasten der Wertschätzung vielleicht, aber hey, wir kochen manchmal auch nur mit Wasser. Die Luft ist mild, das Licht golden und unter dem Metronom hat Prag immer noch eine geheimnisvoll-dunkle Anziehung und eine Schönheit von tausend Türmen und Millionen Wassermolekülen.
Ja wie immer Lieblingsort Fluss. Hier fällt das Atmen leichter. Das wissen auch die Autos, die von unten ihren Lärm verteilen. Und nirgends spürt man so deutlich wie in der Ferne die Bindung zu denen, die unsere Fäden im Alltag weit verteilt einnehmen.
Ich wär gern noch länger hier geblieben. Hätt mich meinem jugendlichen Ich angenähert. Noch ein paar Kneipen besucht. Von tschechischen Männern geschwärmt. Zu zweit Spontanität und Nachdenklichkeit gelebt. In ihrer Kürze hat unsere Reise etwas Traumhaft-Flüchtiges. Wie passend zur Heimat Kafkas und viel mehr als man von einer Touristenhochburg am langen Wochenende erwarten kann.
Zurück im Alltag bleibt das Gefühl, dass manche Kräfte nur mit ganz, ganz viel Arbeit entfaltet werden können. Aber dass es das wert sein könnte. Allons-y, sag ich.
